August Clüsserath - Leben und Werk bis 1955
Obwohl Clüsserath an zahlreichen Ausstellungen teilnimmt, verkauft er kaum und kann von seiner Kunst nicht leben. Aus seinen Selbstzeugnissen spricht eine wachsende Verbitterung des Künstlers, So nimmt er 1956 eine Stelle als Kunsterzieher an den beiden Völklinger Gymnasien an. Er stellt in Paris in den Galeries Raymond Duncan, in Saarbrücken, Völklingen, Trier und Koblenz aus.
1957 gründet Boris Kleint die „neue gruppe saar” und Clüsserath gehört zu den Gründungsmitgliedern. Unter dem Motto „Form und Farbe 57" stellt die Gruppe im Schloss zu Koblenz aus, 1958 in Düsseldorf bei der Künstlergruppe „Zero“, wo Clüsserath mit einer Tuschearbeit vertreten ist.
1959 zeigt die Galerie Senatore in Stuttgart August Clüsserath in einer Einzelausstellung, zwischen 1960 und 1963 nimmt er an mehreren Ausstellungen der „neuen gruppe saar” teil. 1964, zum 65. Geburtstag Clüsseraths, würdigt der Kunstvermittler Walter Schmeer den Künstler. Als Schwerpunkt des Œuvres sieht er die abstrakten Arbeiten als „von Anfang bis zum Ende nach der gestaltenden Einfühlung des Künstlers“ entstanden. Am Ziel stehe die Harmonie, der „Ausgleich von Fülle und Leere, von Weichheit und Straffheit, von Großem und Zierlichem zu lebendiger Einheit.“ Schmeer erwähnt die „Enthaltsamkeit der Mittel”, die die Bilder leicht „unansehnlich“ wirken lassen. Clüsserath wähle seine Materialien weder hinsichtlich „Ansehnlichkeit“ noch aus „Experimentierfreude am Ungewöhnlichen“. Dadurch erreiche er eine schlichte und ehrliche Wirkung von „natürlicher Harmonie” und sei im „Einklang mit dem Lebendigen".?Clüsserath scheidet 1964 aus dem Schuldienst aus. Er wird von finanziellen Sorgen geplagt. August Clüsserath stirbt am 20. März 1966 in Saarbrücken. (Biografie nach dem von Cathérine Biasini zusammengestellten Lebenslauf in: Biasini, 1999, S. 108-111)
Clüsserath war ein sehr wissbegieriger, um kulturgeschichtliche Bildung eindringlich bemühter Künstler.
Er hinterließ aus seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten eine große Anzahl von Aufzeichnungen in Notizbüchern, Notizblöcken oder auf losen Blättern. Viele von ihnen sind nur in der maschinenschriftlichen Übertragung durch seine Frau Dora erhalten. Ich hatte Gelegenheit, in ein damals (zur Zeit der Abfassung des Clüsserath-Kataloges von 1999) von Carsten Clüsserath bewahrtes Konvolut von 12 Taschenkalendern (1953-1956) und insgesamt 14 Notizblöcken (1957, 1962, 1963, 1964/65) bzw. Notizbüchern (1950/60) Einblick zu nehmen. Daraus stammen die folgenden Zitate, Namen und Abbildungshinweise.
Sie geben Aufschluss über die Weite des geistigen Horizonts, die Vielfalt der Interessen, aber auch die Einfachheit der Mittel Clüsseraths. Die Abbildungen stammen meist aus Zeitungsausschnitten. Die Zeitungsfotos, die Clüsserath gesammelt hat, sind u.a. Abbildungen der Nofretete, einer Osiris-Statuette, eines Bronzekrater-Reliefs aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., einer Ghandara-Plastik, eines byzantinischen Reliefs des 10. Jahrhunderts, eines Details der Bronzetür von Nowgorod, eines Kapitells der Kathedrale von Autun, eines Bildes von Paolo Uccello, einer Federzeichnung von Giovanni Battista Tiepolo, von Negerplastiken, von Zeichnungen Hans von Marées’, Georges Seurats, Vincent van Goghs, George Grosz’, K. R. H. Sonderborgs, von Holzschnitten und Radierungen Max Beckmanns, von Plastiken Alexander Archipenkos, Ernst Barlachs, Alberto Giacomettis, von Gustav Seitz und Rudolf Hoflehner, von Bildern Camille Pissarros, Ferdinand Hodlers, Carlo Carràs, von Henri Rousseau, Wassily Kandinsky, Alexej Jawlensky, Pablo Picasso, Georges Braque, Karl Schmidt-Rottluff, Paul Klee, Joan Miró, Francis Bacon und anderen. Siehe auch 3. Werkphase …
Erstaunlicher noch ist die Fülle von Philosophen, Dichtern, Schriftstellern, Komponisten, Architekten, Staatsmännern, bildenden Künstlern, die mit Zitaten in Clüsseraths Sammlung vertreten sind. Es finden sich hier versammelt: Marc Aurel, Seneca, Laotse, Dante, Thomas von Aquin, Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer, Francois La Rochefoucault, Johann Georg Hamann, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Caspar David Friedrich, Arthur Schopenhauer, Georg Christoph Lichtenberg, Leo Tolstoi, Soren Kierkegaard, Theodor Fontane, Marie von Ebner-Eschenbach, Claude Monet, Henri Bergson, Ferruccio Busoni, Igor Strawinsky, Frank Lloyd Wright, Woodrow Wilson, Bernard Shaw, Somerset Maugham, Henry Miller, Thornton Wilder, Ernest Hemingway, John Steinbeck, André Gide, Paul Valéry, Jean Giono, Jean Cocteau, Henry de Montherlant, Louis Aragon, André Malraux, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Hugo von Hofmannsthal, Albert Schweitzer, Thomas Mann, Karl Jaspers, Max Frisch. Bisweilen nennt Clüsserath auch die Titel der Bücher, denen er seine Auszüge entnommen hat, so Balzacs „Le père Goriot", Giraudoux’ „Ondine“, Romain Rollands „Der Sommer“, von Hermann Hesse „Das Glasperlenspiel" und „Knulp“, von Sertillanges „Das Leben des Geistes“, Egon Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“. Selbstverständlich sind auch viele Künstler des 20. Jahrhunderts mit ihren Aussagen vertreten: Pablo Picasso, Georges Braque, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Hans Arp, Constantin Brancusi, Piet Mondrian, Naum Gabo, Julio Gonzales, Max Bill und andere.
August Clüsseraths eigene Notizen lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen. Da sind zum einen drastische Bemerkungen über „die Beamten”, „den Staat", „die Politiker", „die Juristen", „die Spießer”, „den Massenmenschen”, „die Mode“, die „heutige Dekadenz", gegen Ankaufskommissionen, Kunsthistoriker, Kollegen, Bemerkungen voller Bitterkeit und Hochmut, ungerechte, pauschale Verurteilungen, zu verstehen nur aus seiner Empörung über die ihm entgegengebrachte Nichtachtung und Geringschätzung und über das Unverständnis, mit dem eine eigenwillige abstrakte Kunst zu seiner Zeit (und nur zu seiner Zeit?) zu kämpfen hatte.
Der andere Teil der Aufzeichnungen betrifft seine eigene Auffassung von Kunst und seine Haltung zu Welt und Leben. Diese Notizen verdienen unser Interesse und tragen auch zum Verständnis seiner Werke bei. Auf sie konzentriert sich die folgende Zusammenstellung.
Sie entspricht vielleicht auch einer Intention des Künstlers. Denn August Clüsserath notierte seine Gedanken nicht nur für sich selbst zur ständig erneuten und vertieften Bekräftigung seiner Position, sondern hatte offenbar auch vor, ein Buch zu verfassen und zu veröffentlichen, Unter seinen Aufzeichnungen finden sich längere Abschnitte mit den Titeln „Einleitung“, „Gedanken über Kunstbetrachtung“ u.ä.. Auch seine Zitatensammlung sollte wahrscheinlich als Material für dieses Buch dienen.
So heißt es in einem wohl 1964/65 formulierten Entwurf: „es ist mir von vornherein klar, dass dieses am allerwenigsten von denen gelesen wird, die es angeht und die den größten nutzen davon hätten, aber es muss geschrieben werden, wenn auch nur, damit es einmal geschrieben wird. Einige wenige werden daran freude haben. einige werden sich ärgern und aufregen, da sie nicht die wahrheit vertragen können und sie ihnen scheinbar im wege steht. ich lege wert darauf, so sehr mit der wahrheit zu sein, dass ich in ihrem gefolge möglichst allein bin. ich möchte auch gleich bemerken, dass sich dieses buch absichtlich nicht in der ordnung, in der haltung präsentiert, wie es der literarische brauch und die germanistischen lehren vorschreiben. es wird notwendig sein, dass ganze kapitel nur aus zitaten und aphorismen bestehen, die sozusagen wahllos und ohne rücksicht auf eine ...absicht eine atmosphäre schaffen, die notwendig ist, die gedanken zu entwickeln. warum soll sich nicht ein ganzes buch aus solchen bausteinen zusammensetzen? es ist gar nicht beabsichtigt, zurückhaltend und ängstlich zu sein denen gegenüber, die die macht haben und schaden könnten, und jederzeit bereit sind, ihre macht gegen die wahrhaftigen zu gebrauchen. (dass es ein missbrauch ist, das drängt den meisten gar nicht mehr ins bewusstsein ...). meinen schülern und schülerinnen, die etwas bei mir gelernt haben, weil sie der ganzen spießerei zum trotz bei mir freude gehabt und ausgehalten haben, bin ich es schuldig, dass ich meine pädagogik gegen den vorhandenen pädagogismus veröffentliche.”
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